von Petra Geschwendtner
Die uns umgebenden Strukturen sind ver-rückt. Das Gestalten unseres Lebens hat sich dem globalen Markt und ökonomischen Zwängen gefügt, die Erwerbseinkommen haben sich von der Lebensgestaltung, der sozialen Teilhabe und dem Wohnen entkoppelt oder auch umgekehrt. Das „Wohnen“ kümmert sich nicht um Einkommens- und Lohnquotenentwicklungen, nicht um das Prekäre beim Arbeiten, um Krankheiten, Krisen, sozial benachteiligte Ausgangslagen und schlechte Bildungschancen auch nicht, und schon gar nicht um das Gemeinwohl. Das Wohnen ist am Ver-rücktesten von allem, wie uns die kontinuierlich wachsenden Zahlen von wohnungs- und obdachlosen Menschen zeigen. Ja, diese Zahlen überholen sogar das Wirtschaftswachstum, jährlich immer wieder. Zynisch betrachtet scheint diese Kontinuität als solche zumindest gegenwärtig eine der verlässlichsten Konstanten in Zeiten wie diesen zu sein.
Wenngleich das Thema Wohnen ständig evident ist, sich uns politisch durchwegs durchgängig als eine der zentralen gesellschaftspolitischen Herausforderungen zeigt, eine schnelle Lösung ist dennoch nicht erwartbar. Zu lange wurde und wird das Wohnen dem kapitalistischen Ungetüm Markt überlassen, zu lange wurde nicht geschraubt an den vielen vorhandenen und korrelierenden Rädern, die das Wohnen wieder zurechtzurücken vermögen.
Und da, wo alles knapp wird und das Gedränge immer mehr wird, regelt man halt, wer dann noch Platz finden soll oder eben nicht. Ein bisschen schrauben hier, ein bisschen schrauben da, Zugänge erschweren, Ausschlüsse formulieren, Verpflichtungen einführen etc. Anders formuliert, man regelt, in dem man die Berechtigungsräume und somit Exklusion und Inklusion definiert.
Was also tun? Wie tun? Wo wir doch ohnehin schon so viel tun und wenig bis kaum etwas bewegen? Diese Frage wurden in den letzten Jahren häufig gestellt, von uns, die wir in der Sozialwirtschaft tätig sind, aber auch von vielen anderen, die sich eben auch eine soziale Demokratie mit formal und materiell Gleichgestellten wünschen.
Die BAWO Fachtagung 2019, die unter dem Titel „Jetzt erst Recht. Rechtsansprüche absichern. Soziale Grundrechte einfordern.“ stand, bot wunderbare Gelegenheit, sich unter anderem intensiv damit auseinanderzusetzen, sowohl wissenschaftlich als auch praktisch.
Weil eine Demokratie als Gesellschaftsform der formal und materiell Gleichen niemals umsonst ist, sondern erstritten werden muss, sprach der Soziologe Stephan Lessenich über das Üben der Solidarität unter Ausweitung der Kampfzone, das Üben der kooperativen und kollektiven Praktiken der Solidarität, dem Erschüttern von Selbstverständlichkeiten und Selbstverständnissen. Er nahm u.a. Bezug auf Hanna Arendt, die das einzige Menschenrecht schlechthin in dem Recht, Rechte zu haben sieht, da dies den Menschen erst zum Träger weiterer Rechte macht. Damit meint Arendt das Menschenrecht auf Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft, in der man als GleichgestellteR an den dort jeweils geltenden Rechten partizipiert.
SOS Mitmensch nahm uns in einem Vortrag mit bei ihrem unermüdlichen und kreativen Kampf für Menschenrechte, Solidarität und Gerechtigkeit und mich anschließend ein in einer Arbeits- bzw. Austauschgruppe unter dem Slogan Intervenieren. Einmischen. Gegenmacht organisieren. Wir, die wir in unserer Lobbyarbeit Interessen für und mit Ausgegrenzten und Abgehängten vertreten, fordern, eintreten, aufdrängen, uns engagieren und mühen, kreativ sind, in unzählig aneinandergereihten Momenten, kennen wir nicht alle das Gefühl – plötzlich bleibt sie hinten die Motivation, versteckt sich hinter einer Ohnmacht ähnlichen Resignation.
Doch auch, wenn wir im Moment nicht im Stande sind, etwas zu bewegen, so ist es wichtig ein Störfaktor zu sein und zu bleiben.
Und um Menschen zu Gestaltern ihrer Lebensverhältnisse machen zu können, müssen wir weiterhin stören. Wir werden nicht umhinkommen, breiter und professioneller zu werden. Dafür können wir dann umso wirksamer sein.
Und weil es in dieser Themengruppe so eindrückliche Erzählungen gab, die neben der Schilderung von hohem Ressourcenaufwand bei gleichzeitig subjektiv geringer Wirkorientierung auch viel Platz ließen für Beweggründe, bewegende Momente von Gemeinsamkeiten und Begegnungen, war eine der Schlussfolgerungen der TeilnehmerInnen, dass Stören eben nicht nur viel Ressourcen, Engagement und einen langen Atem benötigt, sondern dass Stören eben auch Spaß macht. Es bringt Stärke im gemeinsamen und solidarischen Tun und weil sich so mancheR durch das Einsetzen für ein solidarisches Miteinander auch unverzerrt in den Spiegel schauen kann, finde ich, macht es auch schön.
ein schöner feiner kleiner Text mit – hoffentlich – nachhaltigen Wirkungen, danke Petra fürs Teilhaben lassen und Mut machen.