Beitrag von Heinz Schoibl
Der Verfassungskonvent 2003 bis 2005 ist leider gänzlich missglückt und ergebnislos versandet. Seither ist es um Grundrechte in der österreichischen Verfassung still geworden. Das gilt auch für Rechtsbestände, die von Österreich im Rahmen internationaler Verpflichtungen ratifiziert wurden und so zum Rechtsbestand gehören. Am Beispiel des Rechts auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit kann diese eigentümliche Ausgangslage leicht verdeutlicht werden.
- Die österreichische Verfassung sieht es als Aufgabe des Staates, Bedürfnisse der Österreicher*innen wahrzunehmen.
- Im Volkswohnungswesen wird festgelegt, dass der Staat im Falle von Wohnungsnot über eigentumsrechtlich gesicherte Interessen hinweg auf nicht genutzte Wohnungen zugreifen kann.
- In der Europäischen Sozialcharta wird in den §§30 und 31 ein Recht auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit sowie ein Recht auf Wohnen normiert. Österreich hat die Europäische Sozialcharta zwar ratifiziert, die §§30 und 31 jedoch dezidiert ausgeklammert – mit Verweis darauf, dass Österreich dies ohnedies in den sozial- und wohnrechtlichen Bestimmungen gewährleisten würde.
- Tatsächlich bleiben die Grundrechte auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit sowie auf Wohnen auf dem unverbindlichen Niveau einer Staatszielbestimmung hängen und dem populistischen Sozialabbau Tür und Tor geöffnet.
Seit der Verfassungskonvent sich ergebnislos verabschiedete, wurde wiederholt (vor allem von der BAWO – Wohnen für Alle; vgl. dazu: www.bawo.at) deutlich gemacht, dass es trotz sozialstaatlicher Vorsorgen Armut und Wohnungslosigkeit in skandalösem Ausmaß gibt, dass die Ansätze zur Bekämpfung von Armut sowie Wohnungslosigkeit schlicht nicht ausreichen, dass Armut und Wohnungslosigkeit für viele Österreicher*innen tägliche Realität sind (vgl.: BAWO (HG.), WOHNOPOLY – Wohnen von oben bis unten, Wien 2015). Woran das liegt?
Sozial- und Wohnrecht in Österreich
Ich kann hier keine umfassende Analyse von Sozial- und Wohnrecht in Österreich vorlegen, aber erste Antworten auf die zentralen Fragen formulieren.
Frage 1: Wie ist in Österreich der Schutz vor Armut rechtlich verankert?
Sozialrecht und rechtliche Grundlagen für den Schutz vor Armut zeichnen sich dadurch aus, dass Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Hilfe niedrig gehalten werden. Zwar gilt ein Recht auf Hilfe, aber das Recht auf Sozialhilfe eröffnet keinen Rechtstitel auf die Art der Hilfe. Strikt obrigkeitlich entscheiden Sachbearbeiter*innen nach Augenschein, ob Armut droht oder vorliegt und welche Art von Hilfe angemessen erscheint. Prozessuale Normierungen schränken den Rechtstitel auf Schutz vor Armut zusätzlich ein, z.B.: Antragswegigkeit, Offenlegung allfälliger Vermögen, Subsidiarität und umfassende Auskunftspflicht, Mitwirkungspflicht und Arbeitszwang. Zwar wurden einzelne Ausschlussgründe, wie z.B. die Inpflichtnahme von Verwandten, gestrichen. Allerdings hat die restriktive zuletzt zu Verschärfungen und zu Kürzungen des Leistungsrahmens geführt.
Die Antwort auf die Frage 1 ist mithin schlicht: Nein!
Die gesetzliche Verankerung des Rechts auf Schutz vor Armut ist das Papier nicht wert, auf dem dieses steht.
Frage 2: Wie ist es in Österreich um den Schutz vor Wohnungslosigkeit bestellt?
Die Wege in die Wohnungslosigkeit stehen in der Regel in Zusammenhang mit dem Verlust vormaliger Wohnverhältnisse, z.B. durch Trennung von Lebensgemeinschaften, Ablöse aus der Familie oder gerichtliche Auflösung von Wohnverhältnissen etc. In keinem der vorstehend genannten Ursachen für Wohnungslosigkeit sind rechtliche Vorgaben dafür getroffen, die ausreichend dem Eintreten von Wohnungslosigkeit vorbeugen könnten.
Die Antwort auf die Frage 2 ist schlicht: Nein!
Auch hier gilt, dass die österreichische Rechtswirklichkeit keinen Schutz vor Wohnungslosigkeit kennt.
Vorsorgen zur Bekämpfung von Armut und Wohnungsnot
Während wir – wie unter Frage 1 und Frage 2 ausgeführt – feststellen konnten, die rechtlichen Grundlagen für die Verwirklichung des Rechts auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit bestenfalls ungenügend sind, ist es um die Vorsorgen für die Bekämpfung von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit deutlich besser bestellt. Immerhin gibt es seit etwa 50 Jahren (auch) in Österreich umfangreiche und komplexe Strukturen für Sozialberatung, Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit sowie Wohnungslosenhilfe, die z.T. nennenswerte Erfolge auf der individuellen Ebene der Einzelfallhilfe verzeichnen können.
Frage 3: Wie steht es um Vorsorgen für die Bekämpfung von Armut und Wohnungslosigkeit sowie zur Gewährleistung ‚sozialer‘ sowie ‚Wohnungssicherheit‘?
Die Geschichte von Sozialarbeit und Wohnungslosenhilfe zeigt eine Ausdifferenzierung der Hilfen und Professionalisierung von Hilfeangeboten, die ein hohes Maß an Einzelfallhilfe gewährleisten. Als Positiva sind zu vermerken: niederschwelliger Zugang zu Beratung, Begleitung und nachhaltiger Hilfe. Nach wie vor aber sind die rechtlichen Grundlagen für professionelle Hilfe ungenügend. So gilt eine strikte Trennung zwischen professioneller Sozialarbeit und behördlichem Vollzug, z.B. in der Sozialhilfe. Wie im Behördenverfahren mit den Erkenntnissen sozialer Diagnose, fachlicher Hilfeplanung, professioneller Gefährdungsabklärung und salutogenetischer Expertise umzugehen wäre, bleibt der Willkür der Behörden überlassen. Professionelle Wohnungslosenhilfe bleibt ohne sozial- oder wohnrechtliche Kompetenzen eine halbierte Hilfe.
Die Antwort auf die Frage 3 ist mithin ebenso schlicht wie einfach: Nein!
Das Recht auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit und das Recht auf Wohnen sind in Österreich nicht in Kraft.
Hoffnungsschimmer Pandemie: Unter den Vorzeichen der Gesundheitskrise war 2021 eine Änderung von Grundhaltungen möglich.
Die Gesundheitskrise und die sozioökonomischen Folgen der Pandemie mündeten in eine Wohnungskrise. Viele Haushalte waren aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Wegfall der wirtschaftlichen Grundlagen in Gefahr, die laufenden Wohnkosten nicht mehr decken zu können und wohnungslos zu werden. Im Rahmen der Hilfen zur Bewältigung der Krise hat die österreichische Regierung entschieden, Haushalten, die in Folge von Corona dem Risiko eines Wohnungsverlustes ausgesetzt sind, nachhaltig zu helfen. In Kooperation von Wohnbauträgern, Wohnungsverwaltung und Wohnungslosenhilfe wurde mit Mitteln des Sozial- und Gesundheitsministeriums das Programm „Zuhause Ankommen“ ins Leben gerufen und finanziert. Haushalte, die aufgrund von Corona ihre Wohnung verlieren, bekommen innert kürzester Frist eine leistbare Wohnung. Die Vergabe der Wohnungen erfolgt auf der Grundlage sozialarbeiterischer Expertise. Die Kosten für Übersiedlung und sozialarbeiterischer Begleitung werden vom Ministerium getragen.
Mit Stichtag 31.10.2022 wurden 688 Personen vor drohender Wohnungslosigkeit bewahrt (siehe dazu: „zuhause ankommen“ Tourlogbuch #4 (mailchi.mp)). Leider machen die aktuellen Mehrheitsverhältnisse im österreichischen Parlament auf (längere) Sicht keine Hoffnung auf analoge Maßnahmen in den sozial- und wohnrechtlichen Grundlagen (z.B. Reform von Mietrecht und „neuer Sozialhilfe“). Für „normale“ von Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit betroffene Personen und Haushalte gilt in Österreich weiterhin: BITTE WARTEN!