Autor:innen: Stefanie Brucker (Caritas Salzburg), Petra Geschwendtner (Soziale Arbeit gGmbH), Peter Linhuber (VinziDach – Housing First Salzburg)
Die Anzahl der Personen in Wohnungsnot in Salzburg steigt wieder. 2018 bis 2021 konnte ein Rückgang verzeichnet werden, von 1539 (2018) auf 1129 (2021) Personen.[1] Aufgrund der pandemischen Situation waren diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Während der Lockdowns bestand weniger Kontakt zu offiziellen Stellen, welcher notwendig ist, um in der Erhebung erfasst zu werden.
2022 kam es zu einer Trendwende: Die Anzahl der Personen in Wohnungsnot stieg wieder auf das vorpandemische Niveau und lag mit 1557 über der 2018 erfassten Anzahl.[2]
Trends, auf die bereits hingewiesen wurde, setzten sich fort. 2021 wurden 277 Jugendliche in Wohnungsnot erfasst, 2022 waren es 344. Überwiegend befanden sich diese minderjährigen Personen in ungesicherten (z.B. von Delogierung bedroht) oder ungenügenden (z.B. Überbelag) Wohnverhältnissen, 36 minderjährige Menschen waren obdachlos – gegenüber 15 Personen im Vorjahr.[3] Gerade beim Überbelag muss von einer Dunkelziffer ausgegangen werden. Der Statistik Austria zufolge befindet sich Salzburg nach Wien auf dem unrühmlichen zweiten Platz den Überbelag betreffend.[4]
Ein weiterer Trend setzte sich fort: Aus der Praxis wird berichtet, dass die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Wohnungsnot in bedenklichem Ausmaß zunimmt. Die bestehenden Angebote sind meist ausgereizt und nicht ausreichend. Mehrere Personen wurden von Krankenhäusern in die Obdachlosigkeit entlassen. Entsprechende Zahlen werden 2023 erhoben werden. Fest steht, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit, ungeachtet unmittelbarer Gefahren, sich strukturell negativ auf die Gesundheit auswirkt: 2018 ergab eine Studie der Statistik Austria, dass wohnungslose Personen dasselbe Sterberisiko einer 20 Jahre älteren Person aus der Allgemeinbevölkerung haben,[5] in Großbritannien beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung von wohnungs- bzw. obdachlosen Menschen sogar nur 47 Jahre.[6]
Die Entwicklung, dass zunehmend der sogenannte Mittelstand in Salzburg betroffen ist, setzt sich fort. Im ersten Halbjahr 2023 kam es beim „Wohnschirm“ – einer Einmalzahlung zur Vermeidung des Wohnungsverlustes – zu mehr als doppelt so vielen Anfragen als in den zehn Monaten im Jahr 2022. Bei Beratungsstellen der Mietervereinigung, des Mieterschutzverbandes sowie der Arbeiterkammer war der Andrang groß.[7] Aus den Sozialberatungsstellen wird von Personen berichtet, die sich trotz guter Einkommen bei der Anmietung von Wohnungen schwertun und auf Unterstützung bei Strom- und Heizkosten angewiesen sind.
Das ist wenig überraschend. Laut einer Statistik Austria-Studie von 2023 liegt Salzburg im Bundesländervergleich auf dem ersten Platz, was die Mietkosten betrifft.[8] Das Salzburger Institut für Raumordnung beschrieb 2021, dass selbst bei der oberen Hälfte der Haushaltseinkommen die Wohnkostenbelastung fast ein Drittel des Einkommens beträgt, bei den untersten 10% verschlingen die Wohnkosten über 65% des Einkommens.[9] Demgegenüber stehen grenzenlose Profitsteigerungen bei Anlageobjekten und (Luxus-)Immobilien.
Den finanziellen Belastungen steht ein mitunter schwieriger Zugang zu Leistungen gegenüber. Praktiker:innen konstatieren eine lange Verfahrensdauer bei Wohnbeihilfe und Arbeitnehmerveranlagung. Gerade die Arbeitnehmerveranlagung ist Voraussetzung für weitere Leistungen. Die Organisation einer Kaution wird durch den hochschwelligen Zugang zum städtischen Kautionsfonds erschwert, sowie durch gesetzliche Anmietungsobergrenzen.[10]
Positiv zu vermerken ist, dass sich mit dem Housing First-Ansatz ein strukturveränderndes Modell etabliert. Von September 2021 bis April 2023 lief „zuhause ankommen“, eine vom Sozialministerium geförderte Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Der gemeinnützige Wohnsektor vergibt leistbaren Wohnraum an armutsgefährdete Menschen, Finanzierungsbeiträge oder Umzugskosten werden aus den Projektmitteln übernommen. Darüber hinaus unterstützen Sozialorganisationen bedarfsadäquat. „zuhause ankommen“ wurde in den östlichen 6 Bundesländern bereits operativ umgesetzt, über 1100 Menschen konnten in 560 Wohnungen vermittelt werden, eine neue Projektphase mit Ausweitung wird angestrebt.[11] Mit dem Housing First Ansatz kann Obdach- und Wohnungslosigkeit nachhaltig begegnet werden. Das Ziel des EU-Rates, die Obdachlosigkeit in Europa bis 2030 zu beenden, erscheint so weiterhin äußerst ambitioniert, aber erreichbar – vorausgesetzt, auf nationaler und lokaler Ebene wird rechtzeitig im notwendigen Ausmaß gehandelt.
Der Artikel ist im Salzburger Menschenrechtsbericht 2023 erschienen.
[1] vgl. Holzner, Gustav / Schoibl, Heinz / Linhuber, Peter (2023): Wohnbedarfserhebung 2022 für das Bundesland Salzburg. Salzburg, S. 22
[2] vgl. Holzner, Gustav / Schoibl, Heinz / Linhuber, Peter (2023): Wohnbedarfserhebung 2022 für das Bundesland Salzburg. Salzburg, S. 22
[3] vgl. Holzner, Gustav / Schoibl, Heinz / Linhuber, Peter (2023): Wohnbedarfserhebung 2022 für das Bundesland Salzburg. Salzburg, S. 46f.
[4] vgl. Statistik Austria (2023): Wohnen 2022. Zahlen, Daten und Indikatoren in der Wohnstatistik. Wien, S. 32.
[5] Till, Matthias / Klotz, Johannes / Siegert, Christina (2018): Eingliederungsindikatoren 2017. Kennzahlen für soziale Inklusion in Österreich. Wien, S. 52.
[6] vgl. https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/2023/news-im-juli-2023/krebsvorsorge-bei-obdach-und-wohnungslosen-menschen/, eingesehen am 6.09.2023.
[7] vgl. https://www.sn.at/salzburg/politik/grosser-andrang-fuer-wohnschirm-in-salzburg-immer-mehr-mieter-suchen-unterstuetzung-142536061
[8] vgl. Statistik Austria (2023): Wohnen 2022. Zahlen, Daten und Indikatoren in der Wohnstatistik. Wien, S. 50.
[9] vgl. Lüftenegger, Patrick / Straßl, Inge / Gugg, Bernhard (2021): Analyse der Leistbarkeit von Wohnraum in der Stadt Salzburg. Salzburg, S. 104.
[10] Sozialunterstützungsverordnung Sonderbedarfe, Verordnung der Salzburger Landesregierung vom 16. Dezember, §5 (4).
[11] vgl. Holzner, Gustav / Schoibl, Heinz / Linhuber, Peter (2023): Wohnbedarfserhebung 2022 für das Bundesland Salzburg. Salzburg, S. 73f.