Die neue soziale Frage in Zeiten der Krisen

Beitrag Petra Geschwendtner

Krisen konterkarieren Planbarkeiten. Zuerst kam das Virus und hat unser aller Flexibilität hoch gehalten, Planbarkeiten ausgehebelt und Sicherheiten verlagert. In der Immobilienbranche trat es als enormer Preistreiber in Erscheinung.

Dann – ohne Atempause – begann der Ukraine-Krieg und mit ihm eine weitere Unfassbarkeit, der uns nun nebst einer schon lang begleitenden, beinah treu anmutenden jedoch zunehmend bedrohenden Klimakrise seine Auswirkungen schneller, umfassender und unmittelbarer zeigt: enorm steigende Energiepreise ohne Deckel nach oben, Versorgungsunsicherheiten sowie eine Inflation, wie wir sie noch nicht kannten, immense Teuerungen etc.  Und keine:r kann vorhersehen, wie sich das weiter entwickeln wird.

Unwägbarkeiten, wie wir sie die letzten 2 Jahre schon internalisiert haben, schrauben somit munter weiter an der Mietpreis-Spirale. So ist es z.B. der gemeinnützigen Bauwirtschaft aufgrund hoher Rohstoffpreise sowie Lieferengpässen nicht mehr möglich, verbindliche Kostenkalkulationen für Wohnbauprojekte vorzulegen. Dadurch ist mittelbar die Leistbarkeit von Wohnraum im geförderten Segment gefährdet.  

Die finanzielle Situation ist in rund 13 % der österreichischen Haushalte ohnehin schon sehr angespannt. Einer Analyse des Fiskalrates zu Folge können sich die einkommensschwächsten 35 % der Haushalte ihre durchschnittlichen Konsumausgaben durch ihr monatliches Einkommen nicht mehr finanzieren.

Bereits im Jahr 2008 zeigte uns die Finanzkrise die Auswirkungen auf die Wohnungswirtschaft. Das Wohnen entkoppelte sich zunehmend von der Realwirtschaft, Wohnen wurde Ware, wurde Finanzprodukt. Ähnlich verhält es sich auf den Strommärkten (wenngleich das Marktförmige bei letzterem in der Fachöffentlichkeit zu Recht immer öfter dementiert wird).

Dabei handelt es sich hier für uns alle um wesentliche, um existenzielle Angelegenheiten, die ein jeder und eine jede von uns zum Leben braucht. In Anlehnung an J. Stabentheiner, der das Wohnen als topografisches Zentrum der Existenz formuliert, steht außer Streit und Diskussion, dass Wohnen und auch Energie unser aller Basis ist. Wir ALLE müssen wohnen und uns mit Wärme und Nahrung versorgen. Oder mit den Worten Martin Heideggers, Wohnen ist das selbstreferentielle Redigieren eigenen Lebens an Orten vorübergehender oder dauernder Verwurzelung, die Wohnung ist unsere Weltenmitte.

Ich bin auf Wohnungssuche. Ein an einer Haustür eines mehrgeschossigen Wohnhauses – errichtet in den 70iger Jahren und nunmehr ein wenig verwahrlost anmutend – angebrachtes Mietangebot lächelt mich an: 29 m2 Wohnfläche, ab sofort, möbliert oder unmöbliert. Ich rufe an, die eine kostet € 720,-, die andere 680,-.  Die monatliche Wohnkostenbelastung ist eindeutig zu hoch für mich, die Anmietobergrenz von € 495,- (siehe Verordnung) für die Kautionsübernahme weit überschritten. Unmöglich also!

Meine kleine bescheidene Mietwohnung, keine 30 m2 groß, kostet inklusive der Betriebs- und Heizkosten € 460,-. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, meine Miete ist gerade leistbar für mich. Es ist Juli, der Vermieter macht die Wertsteigerung geltend. Diese € 17,- kann ich gut verschmerzen. Nochmals im Juli, eine neue Betriebs- und Heizkostenvorschreibung kommt. Nun sind es insgesamt € 566,- und unglaubliche 23 % Erhöhung in nur einem Monat und ich weiß, die im Mietvertrag vereinbarte Wertsicherung wird in diesem Jahr sicherlich nochmals schlagend werden. Wie soll sich das neben den teuren Lebensmittel in den nächsten Monaten ausgehen?

Ich bin sehr froh, meinen Stromliefervertrag zu haben. Eine Freundin fand eine Wohnung, sie schloss einen Neukundenvertrag ab, die monatlichen Akontozahlungen wurden mit € 180,- festgelegt.

Alles aktuelle Auszüge aus der Alltagspraxis.

Was braucht es aber nun?

Da sich die Preise am privaten Mietsektor ohnehin schon von niedrigen Erwerbs- und Haushaltseinkommen abgekoppelt haben, diese wohnungssuchenden Menschen aufgrund von Klassismus exkludiert bleiben, bleibt es eine Verteilungsfrage in Bezug auf Zugänge zum kommunalen und geförderten und somit leistbaren Segment.

Und solange wir diese Verteilungsfrage nicht gelöst haben, aber auch die Quantitäten an leistbaren Wohnraum für die Bedarfe der einkommensschwachen Haushalte nicht erhöht haben, darf jedenfalls der private Sektor nicht ausgeklammert werden. Hier ist ein niedrigschwelliger Zugang zu finanziellen Mittel für Kautionsvorsorgen unbedingt von Nöten, gleichfalls müssen Mietpreisdeckelungen, Stopps von Mieterhöhungen aufgrund von Wertsicherungen, wie sie die Stadt Salzburg für ihre rund 1.700 Gemeindewohnungen verordnet hat, oder auch Hauptwohnsitzgebote für leerstehende Wohnungen weiterhin vorangetrieben und realisiert werden.

Die Folgen der Krisen sind ungleich verteilt und zeigen dort, wo sie mit sozialen Gefährdungslagen wie niedrigen Haushaltseinkommen oder sehr hohen Wohnkostenbelastungen zusammentreffen, ungleich dramatischere Auswirkungen. Die Teuerungen treffen Menschen mit den niedrigsten Einkommen am schwersten, siehe Analyse Momentum Institut. Das tägliche (Über-)Leben wird nur noch mittels zusätzlichen punktuellen krisenbedingten Unterstützungsleistungen möglich. Diese sind gut und wichtig – im Moment. Was einkommensschwache Familien und Haushalte allerdings brauchen, sind nicht Einmalzahlungen, sondern strukturelle Verbesserungen, die sie dauerhaft und nachhaltig sozial absichern sowie ihre Handlungsspielräume erweitern. Das wird nicht ohne Reibung, ohne Auseinandersetzung von unterschiedlichen Interessen-Gemengelagen am politischen Parkett gehen. Jedenfalls aber braucht es den Mut, diese Transformationen entschlossen und bedacht im Sinne der schwächsten der Gesellschaft durchzusetzen. Was wir aus der Geschichte und der Forschung gelernt haben, je weniger man die schwächsten einer Gesellschaft berücksichtigt, je mehr man ungleiche Lebensbedingungen schafft, umso weniger lassen sich sozialer Zusammenhalt sowie demokratiepolitisches Vertrauen begründen.

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