Ausnahmesituation! Dieser Ruf hallte Wochen lang durch Österreich und prägte das öffentliche wie auch das private Leben. Das neue Sars-Covid-2-Virus hält uns alle in Atem: Abstand halten, Händewaschen und Masken tragen. Ab Mitte März gab es Ausgangsbeschränkungen, ein heruntergefahrenes öffentliches Leben mit geschlossenen Betrieben, Schulen und Einschränkungen bei allen Verkehrsmitteln sowie enormen Anspannungen im Gesundheitssystem. Bis Ende Mai waren in Österreich fast 17.000 bestätigte Infizierte und bedauerlicherweise 668 mit oder an Covid-19 Verstorbene. Rund 100 Menschen befanden sich noch in ärztlicher Behandlung. Ab Juni wurde begonnen die angekündigte Lockerung umzusetzen und die Beschränkungen endlich wieder zu beseitigen. Hoffnung nach dem Lock-Down! Aber welche Forderungen können aufgrund der aktuellen Entwicklung abgeleitet werden und für zukünftig notwendig werdende Schutzmaßnahmen entwickelt werden?
Sozialstaat wieder geachtet?
In der Krise vertrauten plötzlich auch konservative und neoliberale Politiker*innen in ganz Europa auf wohlfahrtsstaatliche Erfolgsmodelle. Auch in Österreich wurde auf Konzepte des Austro-Keynesianismus zurückgegriffen und u.a. auf staatliche Investition, Transferzahlungen und Arbeitsplatzsicherung gesetzt. Vorrangig wurde von der Regierung aber in Wirtschaftsbereiche investiert, da hier extreme Ausfälle zu befürchten und Arbeitsplätze sowie Unternehmer*innen-Einkommen gefährdet waren. Kurzarbeitsförderungen für Unternehmen und Härtefonds für Selbstständige folgten. Für unselbstständig Erwerbstätige gab es Unterstützung beim Zugang zu Homeoffice. Vulnerable Personen sollten hier bevorzugt werden und auch bei Betreuungspflichten wurden Unterstützungen entwickelt. Es kam aber auch zu viel berechtigter Kritik wegen der schleppenden und oft sehr bürokratischen Abwicklung der Förderungen, die teilweise mehr aus Ankündigung als Auszahlung bestanden.
Nach jahrelangem Rückbau im Wohlfahrtsstaat fehlt offensichtlich die Übung für gelungene rasche Hilfe. Aber das könnte doch wieder geübt und vorbereitet werden!
Noch ist nicht klar, ob eine Rückkehr zur Sparpolitik zu Lasten von Menschen in Notlagen nach Ende der akuten Krise folgen wird, oder – sozusagen als eine der Lehren aus der Corona-Krise – die wohlfahrtsstaatliche Struktur ausgebaut und gestärkt werden kann. Letzteres wäre absolut wünschenswert.
In Krisenzeiten fehlt eine gute Mindestsicherung besonders
Seit einigen Jahren musste die Mindestsicherung als Symbol für geforderten Sozialabbau und unterstellte Verschwendung im Sozialbereich herhalten. Jedenfalls entsteht dieser Eindruck durch Kampagnen verschiedener Akteure konservativer und populistischer Politikströmungen. Nach emotionsgeladener öffentlicher Debatte beschloss die damalige türkis-blaue Koalition 2019 das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, mit dem die Bundesländer verpflichtet wurden, die bisherigen bedarfsorientierten Mindestsicherungsgesetze durch die neuen, restriktiven und im Leistungsumfang deutlich reduzierten Unterstützungen zu ersetzen. Dieser Umbau wurde in Oberösterreich und Niederösterreich gestartet, die anderen Bundesländer warteten noch bzw. hat nun die Corona-Krise diese ohnehin problematische bundeseinheitliche Ausstattung auf niedrigstem Niveau gestoppt.
Während der Ausnahmesituation ab Mitte März wurde deutlich sichtbar, wie wichtig ein gutes, stabiles und leistungsstarkes zweites soziales Netz ist. Die Mindestsicherung / Sozialhilfe sichert den Lebensbedarf, die Wohnkosten und einige geringfügige Zusatzbedarfe ab – wenn auch nur auf einem sehr niedrigen Niveau.
Menschen, die bereits Mindestsicherung bezogen haben, konnten in der Corona-Krise im Regelfall auch weiter darauf vertrauen, dass Geld für Miete und Lebensbedarf angewiesen wurde. Bei auslaufenden Bescheiden wurde von vielen engagierten Sozialämtern und beispielsweise in Oberösterreich nach einem aktiven positiven Signal der Soziallandesrätin der Leistungsbezug verlängert. Nicht in allen Bezirken und nicht in allen Bundesländern wurde dieses wichtige und schnelle Instrument der aktiven Notunterstützung genutzt. Die formalen Kriterien erhöhten sich im System Sozialhilfe/Mindestsicherung ständig. Die Bescheide sind befristet und gelegentlich ist die Hilfe jeden Monat neu zu beantragen. In der Corona-Krise konnten Weitergewährungsanträge nur mehr online eingebracht werden. Eine Hürde, die für einige Personen fast unüberwindbar war und nur mit Sozialberatungsstellen erfolgreich gemeistert werden konnte.
Von den zuständigen Sozialpolitiker*innen wurde in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass mit einem Anstieg der Bezieher*innen gerechnet werden muss, denn die Zahl der Arbeitslosen wächst und wird nach Ende der geförderten Kurzarbeit nochmals erheblich nach oben schnellen. Hier muss die Mindestsicherung – da weder Arbeitslosengeld noch Notstandshilfe armutsfest sind und keine für die grundlegenden Lebenshaltungskosten notwendige Absicherung bieten – wieder einspringen – als Aufstockung der zu geringen Gehälter und der noch geringeren Arbeitslosen- bzw. Notstandshilfegelder.
Die veränderten Rahmenbedingungen erfordern eine sofortige Rücknahme des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes und eine armutsvermeidende Überarbeitung des bewährten Mindestsicherungssystems, damit ein zukunftsorientiertes zweites soziales Netz neu geknüpft werden kann.
Ausgangsbeschränkungen und wiedergewonnene Freiheit
In stationären Einrichtungen – sowohl im Seniorenbereich als auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe – gab es ab Mitte März weitreichende Ausgangs- und Zugangsbeschränkungen, die auch noch im April – zuerst durch Verordnungen und später durch Empfehlungen des Gesundheitsministeriums – definiert waren. Um die Covid-19-Pandemie einzudämmen, hatten wir alle auch ohne Symptome oder Erkrankung, mit Ausgangsbeschränkungen zu leben. Nur mehr notwendige Wege waren in der Öffentlichkeit gestattet. Die Strategie der Gesundheitsbehörden war erfolgreich, jedenfalls in der Weise, dass die weitere Ausbreitung verhindert wurde und Neuinfizierungen die Ausnahme bildeten. Die Schattenseite der Medaille – der weitreichende und oft unkontrolliert umfassende Eingriff in Grundrechte der Freiheit und der Unversehrtheit des Körpers – fand in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung. Ja, Kritiker*innen wurde sogar unterstellt, dass mit einem Hinterfragen der Einschränkungen für Bewohner*innen von Senioreneinrichtungen oder Einrichtungen der Behindertenhilfe die Gesundheit aller anderen auch gefährdet werden könnte. Permanent wurde damit eine konstruktive Debatte unterbunden.
Die Gefahr der Pandemie ist trotz der aktuell beruhigenden Entwicklung noch nicht beseitigt, aber sie ist sehr gut kontrolliert. Daher wurden die Einschränkungen wieder gelockert. Mit Mitte Juni sind nicht nur Schulen wieder geöffnet, sondern es sollte auch in vielen Kultur- und Freizeitbereichen die Rückkehr zur Normalität einsetzen. Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zur Öffnung von Krankenhäusern, Senioren- und Pflegeheimen sowie Einrichtungen der Behindertenhilfe sollten auch für diese Menschen die verlorene Lebensqualität wieder zurückkehren lassen.
Nachdem im Juni hoffentlich sämtliche Einschränkungen in allen Einrichtungen aufgehoben worden sind, sollte nicht gleich zu einem unreflektierten Alltag zurückgekehrt werden, sondern die einzelnen Einschränkungen, Beschränkungen und Verbote sehr genau auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit hin überprüft werden. Denn vielerorts wurde überschießend gehandelt: Zugangsbeschränkungen wurden fast in der Intensität einer Abschottung von Einrichtungen betrieben. Es wurden Sicherheitsdienste zur Einhaltung angefordert und auch rechtlich fragwürdige Isolierungen – sogar am Zimmer – angeordnet. Gerichtliche Überprüfungen werden die Rechtmäßigkeit klären, aber für uns alle – insbesondere für die Zukunft – ist es wichtig, dass wir von der Ausnahmesituation lernen und die überschießenden Maßnahmen vermeiden.
Rechte müssen umfassend geachtet werden
Neben den Freiheitsrechten, die beispielsweise bei Ausgangsbeschränkungen beschnitten werden, müssen auch die Persönlichkeitsrechte, wie Kontaktrechte und Teilhabe am kulturellen Leben, geschützt bleiben. In der Corona-Krise wurde hier massiv in Rechte eingegriffen. Manchmal mit Verweis auf das Epidemie-Gesetz, manchmal aufgrund eines der Covid-19-Gesetze oder Verordnungen. Vielfach aber ohne konkrete rechtliche Basis und im guten Glauben, die Gesellschaft, die Bewohner*innen und die Mitarbeiter*innen zu schützen. Dieser schmale Pfad zwischen durch die Covid-19-Pandemie erforderlichen Einschränkungen und überschießenden Maßnahmen muss besser beleuchtet werden. Denn die Verhältnismäßigkeit zwischen der Abwehr von Gefahren und der zum Schutz gesetzten Maßnahmen darf nicht außer Balance geraten. Schließlich geht es hier immer auch um die Einschränkung von Grundrechten, die nur erfolgen darf, wenn dies unvermeidlich ist und es dazu klare rechtliche Grundlagen und Kontrollmechanismen gibt.
Dies gilt beispielsweise auch für die erforderliche Zustimmung bei Corona-Tests, die im Verdachtsfall einer Krankheit sicher notwendig sind, aber als Vorsorge- und Reihenuntersuchung für eine ganze Einrichtung nicht nur auf Freiwilligkeit beruhen, sondern auch der rechtlich korrekten Zustimmung bedürfen. Dies wird bei Menschen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit manchmal vergessen und trotzdem getestet. Bei Vereinbarungen zwischen Gesundheitsministerium und dem jeweiligen Landeshauptmann kann auch eine notwendige wiederkehrende Testung als Screening erfolgen. Auch hier ist die Freiwilligkeit im Gesetz abgesichert.
Eine genaue Aufarbeitung der Vorgänge in der Corona-Krisenzeit ist ebenso erforderlich, wie eine bessere Vorbereitung für einen von manchen Expertinnen und Experten angekündigten zweiten Krankheitsausbruch. Damit wir von Notverordnungen und kurzfristigen Einschränkungen ohne geeignete Kontrollmaßnahmen wieder wegkommen.