Ein Beitrag von Heinz Schoibl
Leistbares Wohnen ist aktuell in aller Munde, aber der Begriff Leistbarkeit bleibt unscharf. Tatsache ist, dass der „Wohnungsmarkt“ (ein denkbar ungenauer und irreführender Terminus, zumal wesentliche Voraussetzungen für einen marktförmigen Austausch zwischen Anbieter*innen und Nachfrager*innen fehlen) in mehrere Segmente unterteilt ist, die sich in Bezug auf das Preisniveau mit zunehmender Geschwindigkeit voneinander entfernen. Dies führte in den vergangenen Jahrzehnten zu einer scherenförmigen Kluft zwischen Einkommen einerseits und Wohnkosten zum Anderen.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und auf unterschiedlichen Ebenen auch als individuelles Grundrecht definiert. So schlägt etwa die Europäische Sozialcharta im §30 ein Recht auf Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit sowie im § 31 ein individuelles Recht auf Wohnen vor. Österreich hat die Europäische Sozialcharta zwar ratifiziert, die §§ 30 und 31 jedoch ausgeklammert und damit begründet, dass diese Bestimmungen den rechtlichen Grundlagen für die Gewährleistung von sozialer Sicherheit sowie der Versorgung mit adäquatem Wohnraum widersprechen würden. Diese Begründung widerspricht jedoch der Tatsache, dass in Bezug auf soziale Sicherheit, Schutz vor Armut und Wohnungslosigkeit erhebliche Mängel sowie hinsichtlich des Zugangs zu leistbarem Wohnraum große Hürden und eklatante Diskriminierungen gegeben sind.
Im Folgenden stelle ich vier armutsrelevante Risiken einer neoliberalen und dem Grunde nach unsolidarischen Wohn- und Sozialpolitik zur Diskussion.
Zugang zu leistbaren Wohnungen
Die soziale Wohnungspolitik hat insofern eine große Bedeutung für die Wohnversorgung von Menschen, deren Einkommen tendenziell beschränkt ist, sich also die Bildung von Wohneigentum nicht leisten können und auf günstige Mietangebote angewiesen sind. Tatsächlich ist dieses Segment des Wohnungsmarktes allzu klein. Im bundesweiten Querschnitt bildet Wohneigentum (die Besitzer*innen wohnen in den eigenen vier Wänden) mit ca. 50% den größten Brocken des Wohnungsbestandes. Auf soziale Mietwohnungen und Wohnverhältnisse auf dem privaten Wohnungsmarkt entfallen jeweils 20%. Weitere 10% des Wohnungsbestands entfallen auf familiäre Nutzungsverhältnisse, Firmenquartiere, Untermietverhältnisse etc. Mit anderen Worten: Lediglich ein knappes Fünftel des Wohnungsbestandes ist im Rahmen sozialer Kriterien für Zugang, Preisbildung und Wohnsicherheit geregelt. Der Mangel an verfügbaren und leistbaren Wohnungen (im Sinne sozialer Kriterien der Preisgestaltung) hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch zugespitzt und wird von den Gemeinden als Argument dafür herangezogen, dass sie die Zugänge zu diesem Segment des Wohnungsbestandes restriktiv halten. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund werden hinsichtlich des Zugangs indirekt bis direkt diskriminiert und systematisch benachteiligt (vgl. Schoibl 2018).
Leistbarkeit von Wohnen
Die kommunalen Wohnungsmärkte in Österreich zeichnen sich durch Qualität und reichhaltige Angebote aus, nicht jedoch in Hinblick auf verfügbare leistbare Wohnungen. Zudem weist der Überblick über die regionalen Wohnungsmärkte einen deutlichen Preisunterschied zwischen Ost und West-Österreich auf.
Salzburg erweist sich im Österreich-Vergleich als Spitzenreiter. Zu beachten ist hier jedoch, dass es sich bei den vorgestellten Mietpreisen um einen Durchschnitt aller Mietwohnungen handelt, dass hier also sowohl Gemeinde- und geförderte Wohnungen ebenso enthalten sind wie Langzeitmieten, die zu Zeiten vor dem Immobilien-Boom der letzten Jahre abgeschlossen wurden und mietrechtlich (noch) halbwegs geschützt sind. Mit Blick auf aktuelle Wohnungssuche ist jedoch der Markt der tatsächlich angebotenen Wohnungen zu beachten (siehe dazu im Anhang den Überblick über den Wohnungsspiegel in den Salzburger Nachrichten).
Der überwiegende Teil des Wohnungsbestandes ist einer sozial ausgerichteten Preisgestaltung und –kontrolle entzogen. Hier herrschen die Gesetze des Marktes, sprich: das Streben nach Profit und Rendite. Auf dem „freien“ Wohnungsmarkt sind die Wohnkosten hoch und die Konditionen (z.B. bezüglich Befristung, Nebenkosten für Makler*innen etc.) herausfordernd. Haushalte mit niedrigen Einkommen, die u.a. aufgrund von Mobilität oder ihrem fremdenrechtlichen Status vom Zugang zu einer Gemeinde- oder geförderten Mietwohnung ausgeschlossen sind, können sich die Mietkosten auf dem privaten Wohnungsmarkt aus eigenem Vermögen nicht leisten und sind auf öffentliche Förderungen (Wohnbeihilfe sowie Mietkostenförderung aus der BMS) angewiesen (Stöger/Schoibl 2014).
In Salzburg
sieht das z.B. so aus: In der Mindestsicherungsverordnung wurde im Jahr 2005 als
„höchst zulässiger Wohnaufwand“ normiert, dass die Kosten pro Quadratmeter höchstens
€ 9,16 betragen dürfen. Dieser Höchstbetrag wurde in den Folgejahren nicht
valorisiert, obwohl die durchschnittlichen Wohnkosten auf dem privaten
Wohnungsmarkt kontinuierlich angestiegen sind und neue Mietverträge im Jahr
2018 bereits € 16,7 pro Quadratmeter erreicht haben. Die Lücke zwischen dem
durchschnittlichen Wohnpreis auf dem freien Wohnungsmarkt und dem Förderlimit
in der BMS belief sich im Jahr 2018 mithin auf 82% (Schoibl 2018).
Verhinderung von Wohnungslosigkeit
Wohnungslosigkeit entsteht in der Regel entweder infolge eines Wohnungsverlustes, sprich: Delogierung, oder im Kontext des Übergangs aus einer Wohnversorgung (Lebensgemeinschaft/Ehe, elterlicher Haushalt oder stationärer Aufenthalt in Klinik, Haft etc.).
Delogierungsprävention: Die Regelvorsorgen für die Prävention von Wohnungsverlusten durch Delogierungen sind in Österreich noch keineswegs flächendeckend gewährleistet und zudem insbesondere für den Bereich des privaten Wohnungsmarktes keineswegs adäquat ausgestattet. Dementsprechend ist dieses Einfallstor in die Wohnungslosigkeit nach wie vor sperrangelweit geöffnet. In den vergangenen Jahren ist der Anfall einer gerichtlichen Auflösung von Mietverhältnissen sowie von Zwangsräumungen von Wohnungen nur langsam zurückgegangen. Von 2017 auf 2018 kam es gegen den langjährigen Trend des Rückgangs von vollzogenen Zwangsräumungen erstmals wieder zu einer Zunahme von Delogierungsfällen: Im Jahr 2017 wurden insgesamt 4.326 Haushalte delogiert, im Jahr 2018 waren 4.587 Haushalte von einer Zwangsräumung betroffen. Das entspricht einer Zunahme von + 6%.
Übergangs-/Entlassungsmanagement: Für Wohnprobleme am Übergang aus
institutioneller Wohnversorgung (Klinik, Justiz, Jugendwohlfahrt etc.) in eine eigenständige
Unterkunft gibt es aktuell kein adäquates Monitoring, so dass keine
quantitativen Daten zur Entlassung in die Wohnungslosigkeit. Praxisberichte aus
entsprechenden Versorgungsbereichen machen aber deutlich, dass das
Entlassungsmanagement nur unzureichend ausgestattet ist und eine adäquate
Wohnversorgung nach einem stationären Aufenthalt nicht gewährleisten kann. Nur zu
oft wird eine Entlassung in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe (in vielen
Fällen handelt es sich um die tageweise Unterbringung in Notschlafstellen) in
Kauf genommen (BAWO 2016).
Bekämpfung und Beendigung von Wohnungslosigkeit
Wohnungslosigkeit ist eine extreme Form der Verarmung, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass viele Betroffene über mehr / minder lange Zeiträume versuchen, die akute Problemlage zu verstecken. Formen der verdeckten Wohnungslosigkeit, z.B. durch zeitweise Nächtigung bei Bekannte, sind vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie bei Frauen in Wohnungsnot anzutreffen, die häufig erst dann Kontakt zu Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe (WLH) aufnehmen, wenn die privaten Netzwerke brüchig werden. Trotz vielfältiger Bemühungen der WLH um niederschwellige Zugänge zu Beratung und Hilfe sind die Einrichtungen häufig mit Chronifizierung und weitergehenden Folgen von Marginalisierung befasst.
Exakte Daten zum Ausmaß von Wohnungslosigkeit liegen bis dato nicht vor (BAWO 2015). Als Annäherung kann hier auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 hingewiesen werden. Damals waren im Verlauf eines Kalenderjahres mehr als 37.000 Österreicher*innen in Kontakt mit einer Einrichtung der WLH.
Nach
jüngsten Erkenntnissen sind die sozialen und gesundheitlichen Folgen von
Wohnungslosigkeit dramatisch: „Ihre Sterblichkeit ist in allen Altersgruppen
dramatisch erhöht. In der Altersgruppe 35 bis 44 Jahre sind bei wohnungslosen
Männern etwa sechsmal mehr Sterbefälle zu verzeichnen … als bei der männlichen
Gesamtbevölkerung … Es ist davon auszugehen, dass Menschen, die wohnungslos
sind, um ungefähr 20 Jahre früher sterben als Menschen, die nicht wohnungslos
sind.“ (Statistik Austria 2018, S. 8)
Was tun?
In den vergangenen Jahren ist das quantitative Ausmaß von Wohnungslosigkeit stetig gestiegen. Um diesem Trend entgegenwirken und eine Trendwende einleiten zu können, fordert die BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) die zuständigen PolitikerInnen des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen auf,
- die Kernbestimmungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung tatsächlich den Bedürfnissen der betroffenen Menschen anzupassen und damit sicherzustellen, dass die Förderung von Wohnkosten sich an den tatsächlichen Kosten orientiert.
- Prävention von Wohnungslosigkeit ist mit Rechtsanspruch zu versehen und umzusetzen.
- Die Vergabe von geförderten Mietwohnungen durch Städte und gemeinnützige Bauträger ist nach den Kriterien der Bedürftigkeit auszurichten und diskriminierungsfrei zu gestalten.
- Effektive Maßnahmen für eine systematische Beendigung von Wohnungslosigkeit sind auf die Agenda der Sozial- und Wohnpolitik in Österreich zu setzen, um die Lebenslage von wohnungslosen Menschen und deren Chancen auf Bewältigung ihrer Notlage nachhaltig verbessern zu können.
- Die Bundesregierung ist aufgefordert, ein Bundesgesetz Wohnungslosenhilfe zu erarbeiten und zu beschließen, das sicherstellen kann, dass das Menschenrecht auf Wohnen sowie das Menschenrecht auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung bei den Betroffenen von Wohnprekariat, Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit auch tatsächlich ankommen.
Weil Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit ein Grundbedürfnis ist, müssen auch von Österreich die §§ 30 und 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta ratifiziert werden.